Es hat sehr lange gedauert, bis ich mich mit meiner Diagnose abgefunden hatte. Mein Leben vor der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) war extrem hektisch und die Arbeit hatte Priorität. Ich habe mir nur sehr selten frei genommen und war ständig unterwegs. Nach der Diagnose habe ich zuerst versucht, so weiterzuarbeiten wie bisher. Doch eines Tages fühlte ich mich so erschöpft, dass ich mir eingestehen musste, dass dies so nicht mehr möglich war.
Ich war 2019 zum ersten Mal in der NMOSD-Reha und das war das erste Mal, dass ich Zeit für mich hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir auch bewusst, wie müde ich eigentlich war. Ich habe alle Übungen im Krankenhaus gemacht und das Abendessen ausgelassen, weil ich so erschöpft war und einfach nur schlafen wollte.
Da wurde mir klar, dass ich meine Energie nicht effizient nutze – und was zu weiteren Schüben führte, die meine Gehfähigkeit verschlechterten. Es musste sich etwas ändern. Allerdings konzentrierte ich mich nur auf kurzfristige Ziele und den Umgang mit meiner Erkrankung, anstatt große Veränderungen im Hinblick auf meinen Lebensstil vorzunehmen. Ich befand mich in einer Phase der Verleugnung.
Meine Diagnose war für meine Familie und Freunde schwierig. Zum Beispiel sahen meine Eltern einen sichtlich gesunden 40-jährigen Mann und keinen Grund, weshalb ich krank sein oder einen Rollstuhl benötigen sollte. Es hat lange gedauert, bis sie meine Erkrankung akzeptiert haben.
Ich hatte sowohl mit den körperlichen als auch mit den psychischen Aspekten von NMOSD zu kämpfen und beschloss daher, einen Therapeuten aufzusuchen. Doch das erzählte ich niemandem. Vor zehn Jahren konnte man noch nicht so offen über psychische Gesundheit sprechen. Außerdem gab es ein großes Stigma, vor allem im Hinblick auf Männer, die Hilfe suchten. Aber bin ich froh, dass ich die Therapie gemacht habe, denn sie hat mir sehr geholfen, mit der Erkrankung umzugehen. Ich kann nun meine Erfahrungen mit anderen Menschen teilen, die in einer ähnlichen Situation sind.
Heute kann ich mit Stolz sagen, dass sich mein Leben zum Besseren gewendet hat. Ich habe die Veränderung akzeptiert und gelernt, nicht so hart mit mir ins Gericht zu gehen. Zwar kann ich nicht mehr Motorrad fahren, aber ich habe andere Hobbys gefunden, wie Fotografie und Reisen mit meiner Frau. Das sind Dinge, die mir niemand wegnehmen kann. Ich freue mich darüber, weit entfernte Reiseziele wie Afrika, Hawaii oder die Vulkankrater in Island besucht zu haben, was zu den besten Erfahrungen in meinem Leben zählt.
NMOSD hat mir eine neue Perspektive eröffnet. Ja, es ist eine schwere, beeinträchtigende Erkrankung, und es ist immer ein Schock, wenn man die Diagnose einer solch seltenen Erkrankung erhält. Die Forschung auf diesem Gebiet schreitet jedoch voran und wir sensibilisieren die Öffentlichkeit kontinuierlich – so werden täglich Veränderungen erzielt. Wir wissen heute, dass es Möglichkeiten gibt, mit der Erkrankung umzugehen und trotz ihrer Unberechenbarkeit ein gutes Leben führen zu können.
Ein offenes und ehrliches Gespräch mit anderen Betroffenen kann sehr heilsam sein. Keiner verurteilt einen und es muss einem nichts peinlich sein. Niemand will eigentlich über Blasenprobleme sprechen, doch innerhalb der Gemeinschaft ist es zum Beispiel immer wieder Gesprächsthema. Es ist so befreiend und so gut zu wissen, dass man nicht allein ist. Wir tauschen Erfahrungen und Ratschläge aus und freuen uns auf unsere persönlichen Treffen.
Für mich geht es auf dieser Reise mit der Erkrankung vor allem darum, mich selbst wirklich kennenzulernen und für das einzustehen, was ich benötige und woran ich glaube. Selbstvertrauen ist für die meisten Menschen nicht selbstverständlich, jedoch lehrt einen eine so seltene Erkrankung wie NMOSD, für sich selbst einzutreten und seine Meinung zu äußern. Ich habe das schon einmal gesagt, aber Sie können nur Hilfe bekommen, wenn Sie darum bitten; Ärzt:innen können Ihnen nur helfen, wenn Sie ihnen die entsprechenden Informationen geben.
Mein Rat an Betroffene wäre also: keine Angst haben, informiert bleiben und sich bewusst machen, dass es ein Leben nach der Diagnose gibt. Und zwar ein gutes!
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